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St. Pöltens gute Seite

Eine Frage der Ethik

Text Sascha Harold
Ausgabe 06/2017

Journalismus steht derzeit aus verschiedenen Ecken unter Beschuss. „Fake-News“ Vorwürfe machte zuletzt die niederösterreichische ÖVP dem Falter-Journalisten Florian Klenk und auch der US-Präsident verunglimpft Journalisten beinahe wöchentlich. Was sind die Ursachen für diese Vorwürfe, und haben sich durch Digitalisierung und die Vervielfältigung medialer Kanäle, Bedingungen für guten Journalismus geändert?

Die Entwertung von Kapital und Produktionsmitteln hat für die klassischen Medien eine dramatische Folge: Sie haben ihren Status als Gatekeeper verloren, die den Zugang zur Öffentlichkeit regulieren.“ So fasst der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Eric Gujer, das moderne Drama der Medien zusammen.
Die Digitalisierung spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. Ein professionell wirkender Blog ist mit wenigen Klicks und um vergleichsweise wenig Geld zu haben – für qualitativ hochwertige Inhalte bürgt das freilich nicht. Im Besonderen spielen die Sozialen Medien hier eine Rolle, die es mit geringem Aufwand ermöglichen, eine große Anzahl von Menschen zu erreichen. Die Frage, wovon sich diese Inhalte von seriösem Journalismus unterscheiden, gewinnt vor diesem Hintergrund an Bedeutung.

Arena Öffentlichkeit.
Gerade im politischen Nahbereich wird versucht, durch oft objektiv anmutende Nachrichtenblogs Themen zu platzieren. Unzensuriert, Kontrast-Blog oder politik-news sind Beispiele für solche Seiten. Journalistischen Richtlinien folgen sie nur in den wenigsten Fällen.
Das Problem dieser Blogs sind nicht nur Falschmeldungen, vielmehr ist es die tendenzielle Berichterstattung in Verbindung mit dem Anspruch, eine objektive Sichtweise auf politische Themen liefern zu wollen. Letztlich versuchen diese Medien Politik zu machen, dabei aber den Anschein der Objektivität zu wahren.
Ein anderes Beispiel für die Professionalisierung (politischer) Kommunikation ist die Öffentlichkeitsarbeit diverser Institutionen und Körperschaften. Die Stadt St. Pölten etwa kommuniziert auf mehreren Kanälen mit der interessierten Öffentlichkeit, großteils gebündelt über „St. Pölten konkret“. Martin Koutny ist Leiter des Medienservice der Stadt und gleichzeitig Chefredakteur des konkret, das sowohl als Printausgabe, als auch online Auskunft über Aktivtitäten der Stadt und in der Stadt gibt.
Auch Presseaussendungen werden über das hauseigene System an Medienvertreter und Bürger verteilt. „Es besteht eine Informationspflicht der Stadt, der wir hier nachkommen“, erklärt Koutny. Neben aktuellen Aussendungen spiele auch die Archivierung eine wesentliche Rolle, die zudem für Transparenz und Offenheit sorge. Was einerseits eine Serviceleistung darstellt, führt bei fehlenden Ressourcen aufseiten der Medien rasch zu einem Abhängigkeitsverhältnis. Denn Kritik an politischen Entscheidungen wird die Stadt nur in Ausnahmefällen in ihren hauseigenen Medien kommunizieren – hier ist der Journalismus gefragt. Fehlen dort die Ressourcen, dann besteht die Gefahr, dass die Themensetzung nicht mehr nach journalistischen Kriterien passiert, sondern den Presseaussendungen politischer Kommunikatoren folgen.

Rahmenbedingungen.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen setzen den Journalismus zusätzlich unter Druck. Jan Krone, Professor für Medienwirtschaft an der FH St. Pölten, fasst die Lage zusammen: „Derzeit ist der Berufsstand in weiten Teilen durch ökonomische Zwangslagen geprägt, was zu dysfunktionalen Kompromissen führen kann.“ Als Beispiel können teils prekäre Anstellungsverhältnisse gesehen werden, die parallele Tätigkeiten in Public Relations oder Content Marketing zur Folge haben. In diesen Konstellationen kann es zu Interessenkonflikten kommen, die nicht mehr mit objektiver Berichterstattung vereinbar sind.
Dass der Druck in den letzten Jahren zugenommen hat, darüber scheint in der Branche relative Einigkeit zu herrschen. Besonders spürt man das in den Boulevardmedien. Joachim Lielacher, Chefredakteur von Heute NÖ, ist bereits seit 20 Jahren im Journalismus tätig und hat vor allem in den letzten fünf Jahren starke Veränderungen erlebt. Durch die Online-Verbreitung von Nachrichten hat die Geschwindigkeit an Bedeutung gewonnen: „Ich hab durchgehend Bereitschaft, man muss sieben Tage die Woche Habt-Acht stehen“, erzählt Lielacher vom Redaktionsalltag. Das Handy wird laufend gecheckt – auch am Wochenende und im Urlaub. Die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit verschwimmen dadurch. Lielacher zum neuen Arbeitsalltag: „Ich sehe das positiv, man hat dadurch auch viele neue Möglichkeiten. Wer sich dagegen stellt, bleibt halt über.“
Ob bei der erhöhten Geschwindigkeit die Qualität auf der Strecke bleibt? „Bei den wirklich wichtigen Geschichten nehm‘ ich mir die Zeit, für kleinere ist dann weniger Zeit oder sie werden fallen gelassen. Der Druck ist auf jeden Fall mehr.“ Technische Weiterentwicklungen wie Smartphones oder eben Soziale Medien spielten dabei eine große Rolle.
Dem schließt sich Johannes Weichhart, Journalist beim Kurier, an: „Die Sozialen Medien spielen eine enorm wichtige Rolle. Sie sind zum einen Informationsquelle, zum anderen kann ich über sie meine Reichweite, die ich im Printbereich vielleicht nicht habe, erheblich vergrößern.“ Gleichzeitig hat sich durch die Online-Kanäle der Drang zur Aktualität erhöht, was mehr Ressourcen und höheren Arbeitseinsatz erfordert.
„Fake-News?“ Dass angesichts dieses Drucks auch Fehler passieren, ist unbestritten, dazu noch einmal Krone: „Journalismus konnte noch nie garantieren, die ‚Wahrheit‘ zu publizieren. Solch absolutistische Ansätze widersprechen zudem einem auf Vielfalt angelegten Journalismuskonzept. Zu unterscheiden ist allerdings zwischen Arglist und handwerklichem Unvermögen sowie Zeitknappheit.“ Die arglistige Lüge stellt dabei in Medien, die an journalistischer Ethik orientiert arbeiten, die Ausnahme dar. Der Vorwurf der Falschmeldungen im engeren Sinn geht vielfach ins Leere.
Ein Beispiel lieferte die Nieder­österreichische Volkspartei, als sie den Falter Chefredakteur Florian Klenk Anfang des Jahres wegen seines Berichts zur Erwin Pröll Privatstiftung der Lüge bezichtigte. Als „Falter-Fake-News“ bezeichnete der Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner die Story damals, ohne dabei genauer auf den Inhalt der angeblichen Lüge hinzuweisen. Inzwischen soll die Stiftung aufgelöst werden, weil der Hauptzweck der Stiftung „mittelfristig nicht realisierbar“ sei.
Doch auch ohne absichtliche Falschmeldungen passieren immer wieder Fehler in der medialen Berichterstattung. Zum einem kommt die Recherche durch die Erhöhung der Geschwindigkeit oft zu kurz, zum anderen ist der Umgang mit Fehlern in vielen Fällen ausbaufähig.
Daniel Lohninger hat in den 90ern begonnen als Journalist zu arbeiten. Seit fünf Jahren ist er  Chefredakteur der St. Pöltner Ausgabe der Nieder­österreichischen Nachrichten. Mit ihren Regionalausgaben ist die NÖN sehr nah an der Bevölkerung und bekommt Reaktionen auf falsche Berichterstattung oft unmittelbar mit. Darauf hatte auch die Digitalisierung keinen Einfluss. „Wir haben dadurch, dass die Leser die Wahrheit, oder vermeintliche Wahrheit, in ihrer Umgebung ohnehin einschätzen können, immer schon zu unseren Fehlern stehen müssen“, so Lohninger. Im Internet sieht er zwar einerseits Möglichkeiten zur Erleichterung der Recherche, die Vervielfältigung möglicher Quellen erfordert auf der anderen Seite aber auch mehr Zeit in der Überprüfung. Die derzeitigen Entwicklungen in der Medienbranche sieht er nicht nur positiv: „Die Gefahr die ich sehe ist, dass Geschwindigkeit mehr zählt als Wahrheit.“ Ethische Fragen würden so zunehmend relevant, meint Lohninger und weiter: „Journalismus wird zunehmend die Debatte führen müssen, welche Werte vertreten werden sollen.“
Ausbildungsfrage. Um Fragen des journalistischen Handwerks kümmert sich der Masterstudiengang für Qualitätsjournalismus an der Donau Universität Krems. Den Grundsätzen journalistischer Arbeit treu zu bleiben und gleichzeitig auf Veränderungen zu reagieren ist dabei die Herausforderung: „Um am Puls der Zeit zu bleiben, haben wir im vergangenen halben Jahr unsere Curricula einem intensiven Evaluierungsprozess unterzogen“, erklärt Julia Juster, Leiterin des Lehrgangs für Qualitätsjournalismus. Schwerpunkte auf die Erfordernisse digitaler Entwicklungen ergänzen nun die Vermittlung des klassischen journalistischen Handwerks. „Bei uns gibt es kein ‚entweder-oder‘, sondern eine Kombination von Bewährtem und Neuem“, so Juster.
Die Zukunft des Journalismus liegt in der Qualität, darüber herrscht in der Branche weitgehende Einigkeit. Ethische Richtlinien sollten dabei unabhängig von der Form des Journalismus Geltung haben. Durch die verstärkte Partizipation des Lesers in Sozialen Medien, erfährt das Handwerk neue Bedeutung. „Für Nutzerinnen und Nutzer wird es immer schwieriger seriöse Nachrichten von lancierten Falschmeldungen zu unterscheiden. Daher gilt es für Journalisten umso mehr sich auf klassische Qualitätskriterien zu entsinnen, sogenannte Fake News zu entlarven, die richtigen Fragen zu stellen und Informationen zielgruppenadäquat aufzubereiten“, fasst Juster die Stoßrichtung eines qualitätsbewussten Journalismus zusammen.
Qualitätsjournalismus ist derzeit von mehreren Seiten unter Druck. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen erschweren die Arbeit, während sich die Geschwindigkeit in der Produktion erhöht – was nicht zuletzt auf Kosten der Qualität geht. Letztlich wird es aber dieser Qualitätsanspruch sein, der journalistisch arbeitende Quellen von anderer Information unterscheidet.
Die „Wertigkeit der Information“ müsse bei journalistisch geprüften und bearbeiteten Quellen eine höhere sein, ist auch Lohninger überzeugt. Auch die Transparenz in Entstehung einer Reportage, wie es derzeit „Die Zeit“ versucht, ist ein Versuch, Vertrauen bei den Lesern zu gewinnen.
Herbert Binder, ehemaliger Chef des Pressehauses und Präsident des Österreichischen Herausgeberverbandes, sieht die Zukunft des Printjournalimus dennoch nicht so düster, ja, er sieht sogar Chancen. „Wenn es, wie kolportiert, stimmt, dass das Lokale angesichts der Globalisierung als letzter überschaubarer Raum vor einer Renaissance steht, dann haben  etwa Regionalmedien durch ihr Korrespondentensystem durchaus Chancen zu bestehen – wie man das kommerziell hebt, ist ein anderes Thema. Aber gut gemacht, davon bin ich überzeugt, werden Menschen auch in Zukunft für guten Journalismus bezahlen.“


Züge einer Besoffenheit

Jan Krone

Jan Krone ist Professor am Institut für Medienwirtschaft an der FH St. Pölten und beschäftigt sich unter anderem mit den ökonomischen Zwängen des Mediensystems. Wir sprachen mit ihm über aktuelle Trends.
Die Digitalisierung betrifft auch den Beruf des Journalisten. Welche großen Umwälzungen sehen Sie in den nächsten Jahren auf die Branche zukommen?
Die Antwort auf Ihre Frage muss mehrere Ebenen umfassen. In der Ausbildung wird es die Erweiterung des journalistischen Handwerks um digitale Fertigkeiten sowie die klar ersichtliche Trennung der Genres brauchen. Zudem eine Schärfung des journalistischen Selbstverständnisses als unabhängige und objektivierende Individuen für den Stakeholder „Gesellschaft“. Journalismus ist als Aktivität zu begreifen und weniger als Erfüllungsmechanismus ökonomischer Interessen. Derzeit ist der Berufsstand in weiten Teilen durch ökonomische Zwangslagen geprägt, was zu dysfunktionalen Kompromissen im Sinne des Anspruchs an Journalismus führen kann. Parallele Tätigkeiten in den Public Relations sowie Content Marketing können die eigene Profilbildung und damit die Glaubwürdigkeit gegenüber der Gesellschaft unterminieren. Die sozialen Medien verleiten zur Bildung von Echokammern – denen das Publikum nicht zwangsläufig zu folgen bereit sein muss – sowie zur mutmaßlichen Sichtbarkeit des Publikums. Die Folge können schwerwiegende Trugschlüsse auf Kosten der Intention von Journalismus sein.

Das Vertrauen in klassische Medien erodiert nicht zuletzt auch durch den einfachen Zugang zu einer Vielfalt von Informationen, Wie kann der Journalismus hier gegensteuern?

Das ist zunächst einmal Ihre Behauptung. Solch absolutistische Ansätze widersprechen zudem einem auf Vielfalt angelegten Journalismuskonzept. Zu unterscheiden ist allerdings zwischen Arglist und handwerklichem Unvermögen sowie Zeitknappheit. Ein Gegensteuern funktioniert mit Geduld, Transparenz, publizistischem Wettbewerb sowie Trägerorganisationen von Journalismus, die darauf Wert legen.
Die meisten öffentlichen Stellen setzen inzwischen auf professionalisierte Kommunikation, die sich direkt an die Bürger richtet, um dort relevante Themen zu platzieren. Welche Chancen und Gefahren sehen Sie dabei?
Ich sehe weder besondere Chancen noch Gefahren in dieser Art der digitalen Kommunikation, solange ein unabhängiger Journalismus stattfinden kann. Die Medienkompetenz des Publikums, also die Fähigkeit zur Differenzierung, baut sich mit der allgemeinen Lebenserfahrung oder mit gezielten Studien auf. Letzteres sollte einen höheren Stellenwert in der Bildungspolitik erfahren und zudem mit fachlich geschultem Personal ausgestattet werden. Dafür gibt es die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Sich auf das Lehramt hin qualifizierende Studierende sind mir in mehr als 20 Jahren Ausbildung und Lehre noch nicht begegnet.

Wie hat sich das Beziehungsverhältnis zum Leser durch die Digitalisierung des Journalismus verändert?

Ich halte mich zum Abschluss des Interviews kurz: Das Verhältnis zeigt, bei einer Hervorhebung sozialer Medien für das Selbstverständnis, Züge einer Besoffenheit von der vermeintlichen Sichtbarkeit eines Publikums, das in der Regel nichts weiter ist als ein irrelevanter Bruchteil der gesamten Bezugsgruppe.